Sechs Erfolgsfaktoren der Tech-Startups in Israel
Ein Beitrag von IAA-Studytour-Teilnehmer Andreas Widmer, CEO Y&R Group Switzerland und IAA-Präsident Schweiz.
Vor ein paar Wochen besuchte das IAA Swiss Chapter die Internet Startup Szene in Israel.
Während den vier intensiven und äusserst inspirierenden Tagen in Tel Aviv und Jerusalem besuchten wir rund 20 Startups, Inkubatoren, Venture Capitalists und Co-Working Spaces.
Obwohl ich während den letzten Jahren schon einige Startup-Touren mitorganisiert und dutzende von Startups in den verschiedensten Städten dieser Welt besucht habe, hat mich die Qualität und die Dynamik der israelischen Startup-Szene tief beeindruckt. Was wir in Tel Aviv und Jerusalem gesehen haben, war überzeugender und bot einiges mehr an Substanz – auch im Vergleich zu den Unternehmen, die ich im Silicon Valley besucht habe.
Zurück in der Schweiz habe ich mich natürlich gefragt, weshalb wir bei uns nicht auch so eine grosse und professionelle Startup-Szene haben. Obwohl Israel flächenmässig nur halb so gross ist wie die Schweiz, ist die Bevölkerungszahl in etwa gleich gross. Im Vergleich zur Schweiz zählt Israel in Sachen Technologie-Startups aber zur Weltspitze: Aktuell zählt man etwa 6’000 Startups, in die im vergangenen Jahr gemäss geek.com rund 3,5 Milliarden Dollar investiert wurden. Israel hat schon einige „Unicorns“, also Unternehmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde Dollar, hervorgebracht. Und viele weitere Unternehmen wie zum Beispiel Fiverr.com oder moovit haben durchaus das Potential, diese magische Grenze zu durchbrechen.
Was unterscheidet die Schweizer Startups also von den Unternehmensgründern in Israel? Was macht sie so erfolgreich?
Aus meiner Sicht sind es folgende sechs Erfolgsfaktoren, welche die Israelische Startup-Kultur von unserer unterscheiden:
1. THINK GLOBAL – starker globaler Fokus
Die Israelis denken und handeln global. Keines der besuchten Startup fokussiert auf den lokalen Markt, sondern nutzt Israel nur als effiziente Startplattform, um den Weltmarkt zu erobern. Viele der israelischen Unternehmen zielen in einer ersten Phase auf die USA. Sie nutzen ihr lokales Netzwerk um sich zu finanzieren und zu rekrutieren. Israel profitiert von einer starken Zuwanderung von Fachkräften aus der ganzen Welt, was die internationale Orientierung zusätzlich fördert und den Mangel an guten Arbeitskräften reduziert. Schweizer Jungunternehmer fokussieren hingegen oft nur auf unseren Heimmarkt – und da sogar oft nur auf den deutschsprachigen Teil. Die Markterweiterung in die französische und italienische Schweiz bezeichnen dann viele bereits schon als Expansion.
2. TAKE RISKS, BIG RISKS – als Startup und wie auch als Investor
Die Israelis haben eine aussergewöhnlich hohe Risikobereitschaft. Das gilt sowohl für die Startups, als auch für die Investoren-Community. Beiden Parteien sind sich wohl bewusst, dass nur diejenigen Grosses erreichen werden, die auch bereit sind, Risiken einzugehen. Die Gründer in Israel wollen Grosses erreichen. Wer dabei scheitert, wird nicht gleich als Verlierer gebrandmarkt. Frei nach dem Motto „fail but fail fast“ wird unternehmerischer Misserfolg wie im Silicon Valley als gewinnbringende Erfahrung abgebucht. In der Schweiz ist dieses Gedankengut doch eher weniger verbreitet. Wer hier einen unternehmerischen Misserfolg einfährt, ist für die Gesellschaft endgültig als Verlierer abgestempelt. Das ist eigentlich erstaunlich, schauen wir doch auf eine lange Geschichte von erfolgreichen Unternehmern zurück, die auch immer wieder Misserfolge überwunden mussten – und das auch erfolgreich taten.
Warum sind die Israelis also bereit, ausserordentlich grosse Risiken auf sich zu nehmen? Ich denke, es hängt stark mit der äusserst schwierigen politischen Lage des Landes zusammen. Israel ist de facto eine Insel. Das Land ist umgeben von Feinden, ständig konfrontiert mit militärischen Auseinandersetzungen. Wer in Israel in den Militärdienst einberufen wird weiss, dass eine reale Chance besteht, dass er oder sie nicht lebend zurückkommen wird. Wer in Israel lebt, ist sich dem konstanten Risiko bewusst und hat gelernt, damit umzugehen. In der Schweiz muss sich in dieser Beziehung wohl niemand ernsthafte Gedanken machen, wenn er (und natürlich auch sie) die Rekrutenschule antritt.
3. JUST DO IT – lange Planungsphasen ist was für die anderen
Haben die israelischen Jungunternehmer eine Idee mit disruptivem Potential, wird nicht lange geplant. Es wird umgesetzt. Während wir in der Schweiz die dritte Version des Businessplans Korrekturlesen, hat das israelische Startup bereits eine Betaversion ihres Produktes fertiggestellt und über externe Investoren Fremdkapital akquiriert. Wer jetzt meint, dass sie sich einfach blindlings in ein Abenteuer stürzen, liegt falsch. Vielmehr haben es diese Startups verstanden, dass man möglichst schnell mit der Umsetzung beginnen muss, um Markt- und Kundenerfahrung zu sammeln. Nur so kann ein Unternehmen wirklich verstehen, was der Markt und die potenziellen Kunden wollen. Geschwindigkeit ist also ein wichtiger Erfolgsfaktor, vor allem dann, wenn der Markt, auf den die Produkte oder Dienstleistungen abzielen, in dieser Form und Ausprägung noch gar nicht existiert. Erfolg hat man nur dann, wenn man agil vorgeht und sich schnell den wirklichen Markbedürfnissen anpasst. Wer starr an seinen Plänen festhält stirbt, bevor er überhaupt richtig gestartet ist.
Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür lieferte uns Dror Sharon, CEO des erfolgreichen Startups Consumers Physics. Dror erzählte uns, dass er und ein Schulfreund auf einem Spaziergang gemeinsam den Entschluss fassten ein Startup zu gründen, nachdem ihm dieser seine Idee erzählt hatte, einen Spektrometer so zu verkleinern, dass dieser auch in einem Smartphone Platz haben würde. Es ist vielleicht wichtig zu erwähnen, dass professionelle Spektrometer zu dieser Zeit rund 150’000 Dollar kosteten und etwa so gross wie ein Esstisch waren. Die Vision von Dror und seinem Schulfreund scheint aufzugehen: Das Unternehmen wird im nächsten Jahr einen Spektrometer-Sensor für Mobilgeräte auf den Markt bringen. Und zwar zu einem Preis von unter 10 Dollar.
4. BE CONNECTED – Zusammenarbeit erhöht die Chance auf Erfolg
In der Schweiz arbeitet man gerne für sich alleine im stillen Kämmerlein und schliesst − zur Sicherheit − auch gerne noch die Türe hinter sich zu. Kontakte zu Mitbewerbern werden, falls überhaupt, nur sporadisch gepflegt. Austausch findet nur sehr oberflächlich statt. Und über andere und deren Ideen positiv zu sprechen, ist bei uns schon fast verpönt. Nicht so in Israel. Hier scheint es, dass jeder jeden kennt und sich alle respektieren und schätzen. Das Netzwerk wird intensiv genutzt auch gerne anderen zu Verfügung gestellt. Angebote wie “you should meet Aron, he has a very interesting startup and is doing very well. Just let me know if I can connect you.“ waren während unserer Tour keine Seltenheit.
5. BE PROUD – Man ist stolz, ein Israeli zu sein
In Israel ist man stolz auf sein Land, stolz auf erfolgreiche Unternehmer, die es bereits geschafft haben, und stolz darauf, dass man global als eine der wichtigsten Startup-Nationen wahrgenommen wird. Die Gründer und Gründerinnen sind bereit, einen aktiven Beitrag zu leisten, und arbeiten nicht nur für sich selbst, sondern auch für Israel und dessen erfolgreiche Zukunft. Und wenn sie es geschafft haben, sind sie auch bereit, etwas vom Erfolg zurückgeben.
Ein schönes Beispiel für diesen Stolz sieht man am Flughafen in Tel Aviv. Dort schreiten alle Fluggäste durch einen langen Gang mit Porträts von israelischen Erfindern und Pionieren. Auch diese Begegnung trägt dazu bei, das man als Besucher das Selbstbewusstsein Israels als starke Startup-Marke in die Welt hinausträgt. Diese selbstbewusste Haltung würde uns Schweizern sicher ab und an auch gut tun.
6. LEARN FROM THE BEST – die praktische Ausbildung ist entscheidend
Viele Israeli mussten Militärdienst leisten. Spricht man mit den Tech-Gründern fällt auf, dass viele von ihnen in der gleichen Einheit gedient haben: der Unit 8200. Diese legendäre Einheit ist für die elektronische Aufklärung (Signals-Intelligence-Informations) zuständig, welche gerüchteweise nicht nur zu defensiven Zwecken eingesetzt wird. Dass hier viele Ingenieure die wichtigsten Lernphasen ihrer Ausbildung absolvierten, bestätigte uns auch ein Chief Technology Officer, den wir auf unserem Trip kennen gelernt haben. Für ihn sei die Dienstzeit die wichtigste Lernphase in seiner Karriere gewesen, konnte er doch schon als 18-jähriger während vier Jahren mit den neusten Technologien experimentieren und grosse Erfahrungen sammeln. Nur dank dem Militär verfügte er bereits als junger Offizier über ein Budget von jährlich 20 Millionen Dollar, mit welchem er Hard- und Software mehr oder weniger nach Gutdünken beschaffen und einsetzen konnte.
Natürlich sind wir in der Schweiz froh darüber, dass wir als Nation nicht in einer solch schwierigen politischen Situation stecken. Zudem haben wir mit unseren Hochschulen, den Universitäten und Fachhochschulen Zugriff auf ein ausgezeichnetes Bildungsangebot. Im Vergleich zur Ausbildung in Israel ist unser System jedoch enorm theoretisch. Wer in der Schweiz eine praxisnahe Ausbildung machen möchte, findet diese meist erst on-the-job. Der praxisbezogene Hightech-Fokus und die damit verbunden Investments der Armee leisten einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg der Innovationsfähigkeit Israels.
Die Reise nach Israel hat mich tief beeindruckt. Ich bin überzeugt, dass alle Teilnehmenden unserer Reise viele positive Impulse in unsere hiesige Internet Startup- und Investoren-Szene einfliessen lassen werden. Die Erfolgschancen für die Schweizer Startups sind aus meiner Sicht nach wie vor in Takt, denn wie überall im Leben ist auch hier die Einstellung matchentscheidend. Schliesslich – und das zeigt das Beispiel Israel deutlich – gibt es keinen Grund, weshalb auch Start-ups in kleinen Ländern mit der richtigen Attitude Grosses erreichen können.
Und noch ein guter Tipp zum Schluss: Wer sich das nächste Mal überlegt, eine „Zoo-Tour“ ins Silicon Valley zu machen, sollte vielleicht doch eher in den Flieger nach Israel steigen. Denn dort kann man sich wirklich aus vollem Herzen von authentischem Unternehmertum inspirieren lassen, ohne dass man wie im Silicon Valley von einer massiven Marketingmaschinerie geblendet wird.
PS: Wer jetzt Lust bekommen hat, bei der nächsten IAA-Reise mit dabei zu sein, kann sich gerne bei mir melden. Oder Sie können sich bei unserer Geschäftsstelle informieren.
Impressionen der IAA-Studytour 2016